Carl Aigner

ALLEGRO MA NON TROPPO
Oder: Vom Klang der Bilder

Immer mehr drängen sich mir Parallelen
zwischen Musik und bildender Kunst auf.
Paul Klee

Spätestens mit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehen nachdrücklich Analogien zwischen Musik und Bildender Kunst, vor allem hinsichtlich der Begriffe „Farbklänge“ und „Klangfarben“, die teilweise auf Goethes Farblehre zurückgehen; mit der Vision eines „Gesamtkunstwerkes“ bei Richard Wagner beginnt ein kontinuierliches und virulentes Verhältnis von Musik und Bildender Kunst, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen essentieller Baustein in der Entwicklung der abstrakten Kunst darstellt. Wassily Kandinsky und vor allem Paul Klee, der selbst leidenschaftlicher Musiker war, Arnold Schönberg, John Cage aber auch die „Wiener Gruppe“ sind avancierte Positionen in der Verschränkung von Musik und bildender Kunst. Synästhesie und psychedelische Bewegungen der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts imaginieren eine Unmittelbarkeit von Klang und Bild, wobei zahlreiche mentale Experimente versuchen, eine unmittelbare neutrale Entsprechung von beiden nachzuweisen.

Neben literarischen Themen sind es immer wieder musikalische Implikationen, welche die Malerei von Ingrid Brandstetter konstituieren und vor allem in den Titelgebungen sichtbar werden. In den rezenten, seit 2008 entstehenden Arbeiten finden sich nun keine Bezugnahmen mehr auf literarische Erzählungen wie in den Jahren davor, dafür umso mehr „musikalische“ Notationen. Neben einer ikonischen Darstellung von Musik, etwa durch Musikinstrumente oder Tanz, sind es kompositorische und „zeitbasierte“ Bildstrategien, die über Analogien hinausgehend eine intensive Musikalität evozieren. In den letzten Jahren hat sie dabei ein Bildwerk entwickelt, das hinsichtlich Malweise und Programmatik eine immer größere Raffinesse aufweist.

Was das Melodische der Musik, ist das Rhythmische der Komposition der Bilder. Die Personnagen sind geprägt durch emphatische Haltungen, die an musikalische Beschreibungen wie Allegro, Andante oder Divertimento erinnern. Die Form der Bildausschnitte und -anschnitte sind visuelle Intermezzi einer Augenblicklichkeit, die wiederum auf musikalische Temporalitäten anzuspielen scheinen. Wie überhaupt das Moment der Zeit eine wesentliche Rolle im malerischen Bildverständnis spielt. Einerseits in sich versunken, als eine zeitlose meditativ-kontemplative Haltung, andererseits als fast expressiv-erruptiver Gestus wird ein narratives, zeitbasiertes Ineinander vermittelt.

Die Raffinesse der Malerei von Ingrid Brandstetter findet sich dabei auch im Spannungsfeld von gegenständlich und abstrakt. Ihre immer komplexer und vielschichtiger werdende Malweise entfaltet sich etwa in der Verschränkung von Bildhintergrund und Figuration. Es ist dabei weniger ihr spezifischer Kolorismus, als vielmehr das Fragmentieren von Farbflächen, die Kontrastierung von hell und dunkel sowie die Tonalität der Farbgebungen, die eine visuelle Musikalität suggerieren.
Zu Recht können die Bilder auch als lyrisch und damit melodiös charakterisiert werden: Gefühle, Stimmungen, Leidenschaften, Erotik, Begehren sind emotionale Grundbefindlichkeiten der in den Bildern aufscheinenden Personencharaktere. Es gelingt der Künstlerin, scheinbar leger, manchmal anmutig und mondän, immer aber subtil und allusiv einen Kosmos der condition humaine zu entfalten, ohne die Geheimnisse des Geschehens preiszugeben. Und zweifellos gehört zu den künstlerischen Herausforderungen, etwas zu zeigen ohne es zu sagen, etwas sichtbar zu machen, ohne das Unsichtbare zu verraten. Mehr den je sind die Arbeiten von Ingrid Brandstetter Wegmarken einer Sehnsucht nach einen Verstehen ohne Sprechen, nach einem Sein ohne verbale Rationalität. Genau dies ist der Ort, wo Musik und Bild sich kongenial zu berühren vermögen – als mögliche Intensivierung des Lebens:  „Denn ein Weg zur Wirklichkeit geht auch über Bilder. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Weg gibt“, hat dies Elias Canetti einmal so eindringlich formuliert.

 
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