Narziss - Atelier Ingrid Brandstetter
Bei der zwischen 2007 und 2008 entstandenen mehrteiligen Serie „Narziss- Spiegelbilder“ beschäftigt sich Ingrid Brandstetter mit dem Mythos des Narziss und setzt damit die seit mehreren Jahren bestehende Grundthematik ihrer Malerei – die Auseinandersetzung mit griechisch- römischen Mythologien – auch in ihrem aktuellen Schaffen fort. Ingrid Brandstetters Ansatz ist dabei jedoch ganz in der Gegenwart verwurzelt, gelingt es ihr doch einmal mehr einen lebendigen Reigen der klassischen Erzählung zu generieren.
?Wenn er sich selbst nicht kennt!", lautet der programmatische Titel jenes Bildes, das als Schlüsselwerk der Serie, den Protagonisten des griechischen Mythos darstellt. Hier starrt uns der verlorene Blick des Suchenden verhangen entgegen. Sein Gesicht erscheint ebenso vollkommen und schön, wie der Körper ungeformt. Nur wenige Andeutungen von Schulter und Brust zeichnen eine schemenhafte Figur in einem Raum, der nur durch einen ?blinden" Spiegel gekennzeichnet ist, sonst aber nicht näher definiert, die Figur wie den Betrachter im Unbestimmten belässt.
Die Verbildlichung des Narziss erscheint für die Werkreihe in vielerlei Hinsicht sprechend. Zum einen ist das farbliche Valeur auf die Tradition des antiken Stoffes bezogen und verweist in einer facettenreichen Rotmodifikation auf den griechisch- römische Ursprung, besonders hervor zu heben ist in diesem Kontext aber die Pinselführung. Nur skizzenhaft angerissen, mit wenigen Linien erfasst, steht die Machart des Körpers dem sensibel modulierten flächigen Duktus des Kopfes kontrapunktisch gegenüber und bringt auf diese Weise die Fragestellung des Mythos zur Anschauung: Das Fragmentarische der Darstellungsform fungiert als Metapher für das Unvermögen sich selbst zu erkennen.
Das bemerkenswerte Porträt bildet die dritte Sequenz im chronologisch angeordneten Ablauf der Bildfolge, die den Lebensweg des Narziss gleichsam illustrierend zu Textstellen aus Ovids Metamorphosen, Narziss und Echo, beschreiben. In sieben großen Tafeln schildert Ingrid Brandstetter „Schlüsselerlebnisse“ des Narziss, von seiner Herkunft als Sohn des Flussgottes Kephesios und der Leiriope, seiner Mutter ausgehend, über seine Kindheit, seinen frühen Mannesjahren bis zur ersten Liebe, dargestellt durch Echo und ihren Tanz. Das letzte Bild der Folge erzählt von der scheitenden Beziehung und nennt sich „eher sterbe ich, als dass ich dir verfiele!“, Ovid zitierend.
Die antike Erzählung avanciert bei der Serie zu einer aktuellen Psychologie des Selbst. Diese im Mythos angelegte Gültigkeit der conditio humana thematisiert Ingrid Brandstetter zudem in der Gruppe der „Spiegelbilder“, die Menschen unterschiedlichster Typologien darstellt, deren Versuch sich zu präsentieren als „spiegelbildliche Projektion“ entlarvt wird. Ob die lasziv schöne Frau mit hochgereckten Beinen und sinnlichem Blick, oder das Kleinkind im Spiegel, immer ist es die Suche nach dem Wesen des Selbst, die die jeweilige Handlung bestimmt.
Mit subtiler, mitunter ironisch-sarkastischer Beobachtungsgabe zeigt Ingrid Brandstetter eine Reihe von Personen, deren Gehabe idealisierten Menschenbildern moderner Massenmedien gerecht werden will. Besonders signifikant tritt dieser Aspekt bei der Arbeit „ 7 Uhr 30“ auf, die eine Frau bei ihrer Abendtoilette zeigt. Sie dreht ihren Kopf dem Spiegel entgegen, zieht eine leichte Grimasse und schminkt sich ihr Gesicht. Eitelkeit und Maskerade bilden den Hintergrund dieses sarkastischen Frauenbildes. Aber auch männliche Selbstinszenierung persifliert Ingrid Brandstetter etwa mit dem Gemälde „ Alter Ego“, das einen jungen Mann in auffallender Pose, Lederjacke und Sonnenbrille zeigt und mittels moderner Accesoires eine nahezu humoristische Sicht von „Männlichkeit“ zur Anschauung bringt. Der Zeitbezug des Bildes, evoziert durch die Verwendung gängiger Attribute, verweist auf einen weiteren zentralen Moment der Interpretation Ingrid Brandstetters, bei dem Bildnis „Später“, das Vater und Sohn im Bild gegenüber stellt, kommt das Zeitliche als Vergängliche des Selbst dann auch explizit zum Ausdruck. Trotz der Vielschichtigkeit der kompositorischen und inhaltlichen Verschränkung der Werkreihe bildet das Motiv des Spiegelbildes aber das zentrale Sujet. Ebenso wie Narziss seit der Antike, beim Betrachten des Siegelbildes im Wasser dargestellt wird und sich der verzweifelte Versuch der Nymphe Echo die Liebe des Narziss zu gewinnen sich durch die Wiederholung seiner Gestik zu realisieren sucht, so versteht sich das Betrachten des Spiegelbildes seit Jaques Lacan als Synonym für den Prozess der Selbsterkenntnis. Mit seiner berühmten Theorie des Spiegelstadiums vollzieht sich die Deutung des Blickes in den Spiegel als Bildner der Ich- Funktion wie Impetus der Selbstentfremdung, eine Sichtweise, die in den Worten Lacans „Das Ich ist nicht das Ich“ – Le je n ´est pas le moi“ pointiert zum Ausdruck kommt und mit Ingrid Brandstetters Bilderzyklus eine bildliche Darstellung zu erfahren scheint.
Spiegelungen
Die Krieger gefangen, gebannt.
Hallendes Silber kühlt.
Grünes Leben steht leicht und leise.
Erinnerungen.
Sag vor dem befriedeten Einen
Wo ist das Wasser, das nahm?
Wo das hingreifende Wort?
Eingetrunken was du hiess und ich
und dahier oder weit fort und im Bilde
versunken. Ich werfe den Stein.
Der Spröde Narziss
Hochberühmt in den Städten Böotiens, gab Tiresias jener dem bittenden Volke unwiderlegbar Bescheid. Den ersten Beweis seiner Glaubwürdigkeit und Sehergabe erhielt Liriope, eine Nymphe der blauen Gewässer. Kephisos hatte sei einst in einer Windung seines Stroms gefangen und ihr, die die Wellen umschlossen ,dann Gewalt angetan. Schwanger von ihm, gebar die wunderschöne Nymphe einen Knaben – man musste ihn damals schon liebe – und nannte ihn Narziss. Gefragt, ob diesem lange Lebenszeit und hohes Alter bestimmt sei, sprach der schicksalskundige Seher: „Wenn er sich selbst nicht kennt.“ Lange hielt man des Wahrsagers Worte für nichtig, doch was am Ende wirklich geschah, die Art, wie Narziss dann starb und seine unerhörte Leidenschaft, das erwies ihre Wahrheit. Denn zu dreimal fünf Jahren hatte der Sohn des Kephisos noch eines zugelegt und konnte ebenso gut als Knabe wie schon als Jüngling erscheinen. Viele Jünglinge begehrten ihn, auch viele Mädchen, doch ei seiner zarten Schönheit besass er einen so spröden Stolz: Ihn hat kein Jüngling gerührt und keines der Mädchen.
Nur eine Stimme Echo
ihn sieht, wie er scheue Hirsche ins Garn treibt, die plaudernde Nymphe, die weder schweigen kann, wenn man spricht, noch selbst gelernt hat, als erste zu sprechen, die widerhallende Echo. Noch was Echo aus Fleisch und Blut, nicht nur Klang, doch bediente sie sich geschwätzig der Stimme nicht anders als heute: Von vielen konnte sie nur die letzten Worte wiederholen. Das was Junos Werk, denn, wenn sie die Nymphen hätte ertappen können, die oft im Gebirge bei ihrem Jupiter lagen, hielt jene schlau die Göttin mit langem Geschwätz auf, bis die Nymphen entwischten. Als Juno das merkte, sprach sie: „über diese Zunge, die mich zum besten hielt, soll wenig Macht dir bleiben; ganz kurz nur wirst du die Stimme gebrauchen!“ Sie bestätigt die Drohung durch die Tag; seitdem wiederholt Echo nur das Ende der Rede und spricht nur nach, was sie gehört hat. Als diese nun den Narziss entlegen Fluren durchstreifen sah sah und für ihn erglühte, folgte sie verstohlen seinen Schritten, und je mehr sie ihm folgt, um so mehr entflammt sie die Nähe des Liebsten, nicht anders, als wenn, ans Ende der Fackeln gestrichen, rasch entflammbarer Schwefel Feuer fängt, wenn es ihm nahe kommt. O wie oft wollte sie ihn mit süssen Worten anreden und ihn durch zärtliche Bitten rühren! Ihr Wesen verwehrt es und erlaubt ihr nicht, zu beginnen. Doch, was es erlaubt, dazu ist sie bereit, auf Laute zu warten, um dann zu erwidern.
Von ungefähr hatte der Jüngling die treue Schar seiner Gefährten aus den Augen verloren und schrie: "Ist jemand hier?" "Hier!" antwortete Echo. Er stutzt, lässt seinen Blick in die Runde schweifen und ruft mit lauter Stimme: "Komm her!" Sie ruft dem Rufenden wieder. Er sieht sich um, und als auch jetzt niemand auftaucht, fragt er: "Was fliehst du vor mir?! Und ebenso viele Worte, wie er gesprochen hat, vernimmt er. Er gibt nicht nach, und getäuscht durch den Schein einer Antwort, sagt er: "Hier vereinen wir uns!" Echo, die nie auf irgendeinen Ruf mit mehr Wonne antworten wird, erwidert: "Vereinen wir uns!" Gern folgt sie den eigenen Worten, verlässt den Wald und nähert sich schon, dass sie um den Nacken die Arme, um den ersehnten, ihm schlinge. Narziss aber flieht, und im Fliehen ruft er: Lass von der Umarmung! Eher sterbe ich, als dass ich dir verfiele!" Jene gab nichts zurück als: "Dass ich dir verfiele!" Verschmäht, verbirgt sie sich in den Wäldern, deckt ihr Antlitz voll Scham mit dem dichtesten Laub und lebt seitdem in einsamen Höhlen. Doch die Liebe lässt sie nicht los und wächst noch, schmerzt auch die Missachtung. Sorgen rauben der Armen den Schlaf und zehren den Leib aus, vor Magerkeit schrumpft ihre Haut ein, alle Säfte des Körpers verschwinden fort in die Lüfte. Bald sind Stimme nur und Gebein noch übrig. Die Stimme lebt. Das Gebein soll die Gestalt eines Steins angenommen haben. Seitdem hält sie sich im Walde verborgen, man sieht sie auf keinem Berg, doch es hören sie alle. Der Ton ist’s, was von ihr noch lebt.
Verliebt in sich selbst Das Ende des Narziss
So hatte Narziss nun diese, so andere Nymphen der Flut und der Berge enttäuscht, so vorher Scharen von Liebhabern. Einer von diesen erhob, verschmäht, die Hände zum Himmel und flehte: "So soll er selbst auch lieben, so nicht den Geliebten gewinnen!" Er sprach es, und die Göttin der Rache erhörte die berechtigte Bitte. Da war eine lautere Quelle, wie Silber glänzte ihr Wasser; zu ihr drangen nicht Hirten noch auf Bergen weidende Ziegen noch anderes Herdenvieh. Kein Vogel, kein Wild hatte sie je getrübt, kein Ast, vom Baume gefallen. Gras wuchs rings um sie, genährt vom nahen Nass, und ein Wald, der sie vor jedem wärmenden Strahl der Sonne schirmte. Hier sank, vom Jagdeifer und von der Hitze ermattet, der Jüngling nieder, angezogen vom Reiz des Ortes und von der Quelle. Seinen Durst will er löschen, allein ein anderer Durst entbrennt in ihm, denn beim Trinken berückt ihn der Anblick seiner schönen Gestalt; er verliebt sich, doch körperlos ist der Gegenstand seiner Hoffnung was ihm Körper scheint, ist ja nur Wasser! Er staunt sich selbst an, und mit starrem, unverwandtem Blick ist er wie gebannt, gleich einem Bild aus parischem Marmor. Auf den Boden gestreckt, schaut er das Doppelgestirn seiner Augen und sein Haar, eines Bacchus würdig, ja, würdig eines Apollo, die bartlosen Wangen, den Hals wie aus Elfenbein, das holde Gesicht und die, die sich mit schneeigem Weiss mischt. Alles entzückt ihn, wodurch er entzückt. Töricht begehrt er sich selbst, er, der prüft, prüft sich selber, sein Sehnen seht sich nach ihm, ihm verzehrt die eigene Flamme.