Elisabeth Schawerda über den Zyklus
Noch immer und ohne dass wir uns dessen klar bewusst sind, prägt die Antike, die scheinbar so heitere, unseren Denkhintergrund. Und immer noch sind wir geblendet vom Bilderreichtum der griechischen Mythen, Wahrhaft unsterblich, erneuern sich Götter und ihre Geschichten in den Werken der Kunst durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag, Leda, Euridyke und Orpheus, Penelope, Ariadne und Theseus, Ikarus…. sie sind uns längst in Fleisch und Blut übergegangen.
Doch betrachten wir die faszinierende Welt der antiken Griechen näher, erleben wir merkwürdige überraschungen. Eine gewalttätige Männerwelt, die die Geschlechterbeziehung in ein Schlachtfeld verwandelt hat, tut sich auf. In ihr gelten Raub und Vergewaltigung nicht einmal al Kavaliersdelikte, sondern überhaupt nicht als Delikte, weil sie Denkweise und Methode sind, ebenso wie listenreiche Betrügereien. Ungestraft kann man Frauen hineinlegen wie Leda, oder vergessen wie Ariadne, oder verfolgen wie Daphne, die lieber zu einem Lorbeerbaum wird, als Apolls Begehren nachzugeben. – So unwiderstehlich waren sie also nicht, die amoralischen Herrn Götter. Ihr Glück bei Frauen war nicht besonders groß. Aber tief verankert in generationenlanger Gymnasialbildung sitzt die Vorstellung vom „edlen Griechen". Sie beruht auf der Ehrfurcht vor einer Hochkultur und der Schönheit der Kunstwerke, ungeachtet dessen was sie darstellen und erzählen. Das Hinterfragen war nicht üblich in der patriarchalen Gesellschaft, die damals, vor 3000 Jahren, von den Griechen so erfolgreich etabliert worden war und sich fast bis in die Gegenwart hielt.
Doch ehe unsere griechischen Helden mit Gewalt und Gesetzen eine neue, männliche Ordnung herstellten, gab es in tiefer Prähistorie ein ganz anderes, langdauerndes, weiblich-mütterliches Zeitalter. Von dessen Zerstörung, der Vernichtung seiner Werte und den unerbittlichen und unfairen Strategien zur Unterdrückung und Domestizierung der Frauen handeln die Mythen, diese kollektiven Phantasien. Aber ihre Konflikte lassen die Bruchstellen erkennen und führen uns auf die Spur in die ältere Zeit. Kassandra stammt aus dieser, die Prophetin, die weise Frau. Doch weil sie Zeus nicht erhören will, bestraft er sie, indem er bewirkt, dass niemand ihren Weissagungen Glauben schenkt. Hera war die große ägäische Mutter. Nun wird sie unter anderem durch die Teilnahme an einer Schönheitskonkurrenz lächerlich gemacht! Ariadne, die wir nur noch als auf Naxos Sitzengelassene kennen lernen, war ursprünglich eine minoische Göttin. …
Und es gibt viele andere Beispiele weiblicher Herabwürdigung, grausame und hinterhältige. Mythen ändern sich, wenn auch in sehr langen Zeiträumen, so wie sich Mentalitäten ändern und Machtmonopole nicht ewig bestehen bleiben.
Die Malerin Ingrid Brandstetter spürt das auf, greift mit ihrem künstlerischen Instinkt für Veränderungen des Zeitgeistigen leicht und sicher nach den alten Stoffen und formt sie zu neuen Bildern. Sie nimmt sich die Freiheit, im Tragischen das Komische zu akzentuieren, und den Ausgang der Geschichten zu einem Ausweg zu machen, diesmal, zeitgemäß und mit Humor, für die Frau. So sehen wir Leda nicht schmachtend im Gefieder des Schwans, sondern diesen zum Haustier mutiert, dass man eventuell auch braten könnte, auf ihrem Schoß. Eurydike entsteigt lachend und elegant der Unterwelt, den Blick nicht auf den Rücken des mürrischen Orpheus gerichtet, der offensichtlich nicht weiß, wozu er die Mühe auf sich genommen hat, sondern hoffnungsfroh in die Welt. Ariadne rettet mit ihrem Faden nicht Theseus aus dem Labyrinth sondern sie wickelt ihn damit ein und rettet sich selbst aus den verhängnisvollen Fesseln der Liebe. Die anmutige Daphne entgeht der Vergewaltigung durch Apoll, indem es nun er ist, der zum Lorbeerbaum erstarrt. Penelope ist dem Ende ihrer Geduld sehr nahe, und die von Paris nicht zur Schönsten gewählten Göttinnen Hera und Athene reißen dem Prinzen das Lendenschürzchen vom Leib, damit auch er ihrem Urteil ausgeliefert sei. Ikarus hängt als Marionette an den Schnüren seines abgestürzten Fluggeräts. Seine Geschichte ist die Metapher für den patriarchalen Machbarkeitswahn und dessen Folgen.
Ingrid Brandstetter lässt die alten Mythen in jungen, modernen Frauen aufleben, die nicht rachsüchtig und kämpferisch sind, bloß selbstbewusst und selbstbestimmt. Sie verlassen den von Männern gemachten Kampfplatz der Beziehungen und beziehen sich fröhlich auf die eigene Energie. Ihre Partner scheinen mit dieser neuen Situation noch nicht zurecht zu kommen und wirken deprimiert und beleidigt wie einst in der Steinzeit die kleinen männlichen Figürchen neben den zufrieden in sich ruhenden weiblichen.
Diese Bilder sind nicht nur in Form und Farbe, sie sind auch Poesie und Esprit und Ausdruck einer gegenwärtigen Befindlichkeit, des Komischen im bisher Göttlichen.
Elisabeth Schawerda